Roter Faden

Manchmal reicht ein einziger Augenblick, um zu begreifen, wie dünn der Faden ist, an dem wir alle hängen – und wie dankbar wir sein dürfen für die Menschen, die diesen Faden jeden Tag fest in die Hände nehmen, wenn wir es nicht mehr können: Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte, Sanitäter*innen…

Doch wenn man den Ursprung dieses Fadens mal zurück verfolgt, erkennt man, dass er viel näher an einem selbst dran liegt, als man zunächst denkt. 

Diesen Beitrag widme ich allen medizinischen, pflegerischen und nichtärztlichem Kräften der Medizinischen Universität Lausitz, die an meiner Genesung beteiligt waren – Und Anke K.

Eins ist klar: Jede Operation – egal wie groß oder klein – birgt ein Risiko. 

Dieses nehmen wir in Kauf, wenn wir überzeugt sind, dass es das Richtige für uns ist. Ich würde jede meiner Entscheidungen jederzeit wieder genauso treffen. Nur eben gern ohne das, was dann kam.

Ich hatte verdammt großes Pech – oder riesiges Glück. Je nachdem, wie man es betrachtet. 

Aber der Reihe nach.

Nach einem ambulanten Eingriff in meinem Unterbauch gab es Komplikationen.

Wir waren gerade am Zubettgehen, als ich plötzlich einen reißenden Schmerz in den Seiten spürte, mein Bauch war zu einer prallen Kugel angeschwollen und ich bekam akute Atemnot. 

Mein Mann rief sofort den Rettungswagen. Nur wenig später lag ich in der Notaufnahme der Cottbuser Uniklinik. Die Ärzte untersuchten mich gründlich, machten Ultraschall, gaben mir Medikamente und schoben mich durch die Röhre. Zunächst sah es so aus, als müssten wir nur die nächsten Tage abwarten. Meine Familie kam vorbei, richtete mich ein bisschen her und machte mir Mut. Der nächste Morgen würde besser werden – davon war ich überzeugt.

Er wurde es nicht.

Als selbst die erfahrenste Fachkraft kein Blut aus mir herausbekam, erschien schließlich Frau Doktor persönlich in meinem Zimmer. Der Tonfall wurde rauer, die Blicke der Schwestern nervöser. Ein einziges Röllchen – mehr konnte das Labor nicht bekommen.

Und dann ging plötzlich alles sehr schnell. Die Werte deuteten klar auf eine schwere Anämie hin – akute Blutarmut.

Lebensgefahr!

Ich wurde eilig vorbereitet, und noch während der Fahrt in den OP hielt man mir Formulare zur Unterschrift hin: Wurde ich schon einmal intubiert? Stimme ich Bluttransfusionen zu? Habe ich eine Patientenverfügung oder Vollmacht? Noch nie in meinem Leben fühlte ich mich so machtlos, so zerbrechlich. Eine befreundete OP-Schwester hielt meine Hand, während ich, auf dem Tisch festgeschnallt, in Tränen ausbrach.

Im nächsten Moment saß ich plötzlich mit meinem Papa in einem Café in Paris. Wir unterhielten uns, bis er mich irgendwann fragte, warum ich so zitterte. Ich lächelte nur mild und erzählte ihm, dass meine Operation gleich zu Ende sei. Sekunden später wachte ich mit einem Schrei auf.

Grelles Licht, Überall Schläuche, ein heftiger Druck an meinem Hals und das hektische ungleichmäßige Piepen meiner Herzfrequenz.

Mein ganzer Körper war Schmerz. Ich konnte kaum atmen, kaum sprechen, meine Arme und Beine nicht bewegen.

Aber trotzdem:

Ich bin hier!

Ich bin da!

In meinem Bauchraum hatten sich fast drei Liter Blut gesammelt. Ich wäre verblutet, wenn man nicht gehandelt hätte.

Über acht Stunden hinweg stabilisierten mich die Anästhesisten und Intensivpflegekräfte. Mit Sauerstoff, Infusionen und reichlich Blutkonserven. 

Ich bin B positiv – Diese Variante ist selten und zugleich besonders gefragt. Dass trotzdem ausreichend Blut zur Verfügung stand, ist keineswegs selbstverständlich – nicht einmal für das größte Krankenhaus Brandenburgs! 

Denn:

Blutspenden sind freiwillig. Auch, wenn das die Überlebenschancen eines anderen Menschen zur Glückssache erklärt – wird niemand zum helfen verpflichtet! Es darf einem egal sein!

Und das ist es, was mich nicht mehr loslässt!

Nicht die Erkenntnis, wie schnell ein Leben enden kann. Nicht, dass ich diese eine Person unter Hunderttausenden bin, bei der ein Routineeingriff schief ging. 

Sondern die Tatsache, dass all diese großartigen Menschen in den Kliniken jeden Tag ihr Bestes geben – und dennoch darauf angewiesen sind, dass Freiwillige Blut spenden. Und trotzdem tun es viele einfach nicht. Oft, weil sie sich nicht bewusst sind, wie schwerwiegend ihre Einstellung sein kann.

Manche glauben, Blut- oder Organspenden gingen sie persönlich nichts an – als wäre es etwas Fernes, etwas, das Andere betrifft.

Aber so ist es nicht!

Es ist viel näher, viel persönlicher. 

Diese Abhängigkeit kann jede/n in unserem engeren Umfeld treffen:

Die schwangere Freundin im Kreißsaal, das Nachbarskind nach einem Unfall, oder mich – die Optikerin, die jemanden noch vor drei Tagen freundlich eine Brille verkauft hat.

Unsere Lebensfäden sind alle irgendwie miteinander verbunden. Ohne, dass wir es wissen. Und manchmal führen diese Fäden zu einer Person, die wir persönlich nie getroffen haben – und die dennoch nun ein Teil von uns ist.

Diese unsichtbaren „roten Fäden“ zeigen, wie nah wir einander tatsächlich sind – und wie sehr wir im Notfall aufeinander angewiesen sind.

In Deutschland werden jeden Tag etwa 15.000 Blutkonserven benötigt! Mehr als 8.500 Menschen stehen auf der Warteliste für eine Organtransplantation.

Gleichzeitig sinkt die Anzahl an Spenden, was zu dramatischen Engpässen führt.

Es liegt in unserer gemeinsamen Verantwortung, füreinander einzustehen. Auch wenn wir nicht in weißen Kitteln stecken oder mit Blaulicht durch die Straßen fahren, können wir einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, dass Lebensfäden nicht abreißen. Durch Zögern, Zweifeln oder Verweigern nehmen wir helfenden Kräften die Möglichkeit, Andere zu retten.

Ich schreibe diesen Beitrag nicht als Vorwurf – er soll viel mehr ein Hinweis darauf sein, dass wir einander näher sind, als wir glauben!

Mein Lebensfaden endete am Ärmel gleich mehrerer mir unbekannter Personen. Und nur weil sie sich entschieden haben, diesen Ärmel hochzukrempeln und Blut zu spenden, konnte meine Familie am nächsten Morgen erleichtert aufatmen – und ich meinen eigenen Faden weiterführen.

Jeden Tag.

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