von Allman-Mutti‘s und Foto-Tussis
für Sophie und für Chrizz
Jaaah, wat war das schön im Urlaub!
Kaum sind die letzten Klamotten aus dem Koffer in die Waschmaschine – und die obligatorische „sind gut zuhause gelandet“ – Meldung in den Familien-Chat gepackt worden, träumt man auch schon von der nächsten Reise.
In unserem Fall vom Gardasee! Am liebsten nochmal Mazäsine – äh Malschesinä oder wie heißt das noch mal? Mal-schä-si-nä???
Wie auch immer! Schön da!
Man muss nur die eigenen Landsleute ausblenden, die in deutschsprachigen Hotels, Restaurants und Eisdielen völlig schmerzfrei den Klischee-Deutschen raushängen lassen:
Grimmige Mienen hinter zu engen Sport-Sonnenbrillen, Camp David Poloshirts und mickriges Trinkgeld. Land und Leute? Ciao!
Aber das hier ist kein Beitrag ala „typisch Deutsche mit Socken in Sandalen“ – Nein!
Erstens, weil das mit den Tennissocken jetzt wieder en vogue ist und zweitens, weil ich eine andere interessante Entdeckung gemacht habe!
Mir ist aufgefallen, wie gut und unabhängig von Socken-Vorlieben eine Klischee-Grenze zwischen den Urlaubern gezogen werden kann:
Nämlich anhand der Art und Wiese, wie Erinnerungfotos gemacht werden!
Während beispielsweise Generation Z und die Millennials aufgrund von zu viel Social-Media-Diktatur eine gewisse Strebsamkeit nach den perfekten Motiven entwickelt haben, gehen die Vertreter der Altersgruppe Vierzig plus die Sache eher pragmatisch an:
Handy raus. Ein Schnappschuss. Qualitäts-Check: Alles drauf – weiter geht’s!
Man muss gut Acht geben, um Allman-Mutti und Allman-Vati auf frischer Tat zu ertappen, denn die Bilder werden so schnell aus der Hüfte geschossen, wie ein Content-Creator braucht um den Gedanken an einen echten Job zu verwerfen.
Vor meinem geistigen Auge erscheint ein WhatsApp-Status in dem Allman-Mutti ihr Urlaubs-Tagebuch postet und akribisch jeden Schritt dokumentarisch festhält:
Das Hotelzimmer, Aussicht vom Hotelzimmer, Blütenmeer, irgendeine Statue, schöne Kirche, noch mal Blumen. Alles mit einer geistreichen Bildunterschrift betitelt, die das Offensichtliche noch mal benennt:
„Unser Hotelzimmer… ; under Bad…; unser Platz im Restaurant…; Hier ist es sehr schön.“ Emoji – Emoji – Emoji.
Ergänzt wird das Ganze noch mit ein paar Selfies mit Vati, der mit ernster Miene durch das Nahteil seiner Gleitsichtbrille guckt und dessen Kopf durch die Innenkamera zu einer riesigen Kartoffel verzerrt wird.
Den Abschluss bildet Allman-Mutti mit einem Foto von ihrem hart verdienten Eisbecher am Ende eines Ausfluges.
Bildunterschrift:
„Belohnung muss sein!“ Eisbecher- und Zungen- Emoji.
Niedlich sind sie! Das meine ich ernst!
Jetzt mal unter uns:
Wir alle sind froh, zu wissen, was die Alten so treiben, während wir uns im elterlichen Garten darum kümmern, dass die Hortensien nicht verrecken und die Überreste des letzten Grillabends verschwinden.
ABER!
Für eine Generation, die länger mit klassischen Fotoapparaten als mit leicht zu bedienenden Smartphones hantiert hat, legen diese Boomer erstaunlich wenig Talent für‘s Bilder-Knipsen an den Tag!
Schande!
Wo bleibt das Gespür für Motiv, Winkel und Perspektive? Wo die sorgsam ausgewählte Anzahl an Highlights, die liebevoll aneinandergereiht eine kleine Geschichte erzählen?
Wir brauchen keine verwackelten Daumenkinos oder halb abgeschnittene Sehenswürdigkeiten, die zugunsten des Fußbodens aus dem Bildausschnitt verschwunden sind!
Weniger ist bekanntlich mehr.
Und damit dieses „Weniger“ entsprechend nach Mehr aussieht, habe ich mich während unseres Trips durch Norditalien so richtig ins Zeug gelegt.
Die Idee: eine Inszenierung meiner Selbst an den malerischen Ufern des Gardasees, während mein Mann „spontan“ ein paar Bilder von mir macht.
So einfach, so töricht!
Ich instruierte meinen Ehegatten mit schlecht durchdachten Anweisungen wie:
„- … möglichst so, als wüsste ich nicht, dass du mich fotografierst!“ und hoffte, dass dieses genügt.
Kurz darauf stolpere in meinem neuen Bikini über die schleimig-glitschigen Steine des Hundestrandes und lasse mich – graziös wie ein Flusspferd auf die Knie fallen, damit das Wasser bis zum Bauchnabel steht.
Die Plörre ist pisswarm und voller Algen. Egal! Für mein Urlaubs-Reel gebe ich alles! Ich werfe mein Haar, als wäre ich Undine und winke breit grinsend meinem Angetrauten zu.
Hashtag #bardolino #italyvibes
Wenige Augenblicke später wate ich unbeholfen zum Stand zurück.
Irgendwas Schönes wird schon dabei sein.
Denke ich.
Ist nicht so.
Auf allen Aufnahmen ist mein Dellen geplagter Hintern das Einzige, was wirklich gut zu erkennen ist. Die störende Traum-Kulisse wurde abgeschnitten.
Gottseidank hat mein Holdester ordentlich an meine Kehrseite rangezoomt, sodass die Fotos eine gesunde Unschärfe bekommen haben.
Schön.
Nicht!
Wenn ich nicht so gereizt von der drückend schwülwarmen Hitze wäre, hätte ich es mit Humor genommen. Stattdessen lösche ich eine Parade an Schnappschüssen des Grauens:
Ich – wie ich mich wegen des unebenen Einstiegs fast auf die Fresse lege – das Bikinioberteil nicht jugendfrei verrutscht – Löschen!
Ich – wie ich mir mit bester Bierbauch-Plauze das Höschen aus dem Hintern ziehe und dabei ein Gesicht ziehe, als hätte ich zu viele Lombardische Limonen gegessen – Löschen!
Ich – schenke meinem Göttergatten einen vernichtenden Seitenblick und mache stattdessen Selfies, bis ich Sonnenbrand kriege.
Einen schweißtreibenden Spaziergang später haben wir uns in einem Restaurant direkt am Ufer niedergelassen.
Klimaanlage, Schatten, kalte Getränke.
Ich frage mich, ob ich mit der unentdeckten Superkraft gesegnet bin, immer im genau falschen Augenblick das Gesicht zu verziehen oder den Bauch rauszustrecken oder ob mein Schatz einfach ein Talent dafür hat, besonders unvorteilhafte Fotos von mir zu machen?
Meine Gedanken werden jäh unterbrochen, als die Bedienung uns zwei Limoncello-Spritz serviert.
Das Ambiente ist postkartenreif: Weiße Sonnenschirme, azurblaues Wasser und üppig blühende Blumenkübel.
Jetzt aber! Gruß-Foto für die Lieben zuhause!
Ich reiche meinem Mann das Telefon und gebe mir größte Mühe, natürlich zu lächeln. Vielleicht einen Schluck von meinem Drink nehmen? Sieht das gut aus?
Sieht es nicht!
Leicht angesäuert versuche ich meinem Insta-Boyfriend ein paar hilfreiche Tipps zu geben, bevor er mir das Handy zurück gibt, mit den Worten:
„Hier, mach‘ selbst!“
Er ist ein guter Kerl! Daher gibt er nicht mir die Schuld daran, dass ich auf allen Bildern zwanzig Kilo üppiger und irgendwie speckig durchgeschwitzt aussehe. Aber ich bekomme allmählich ernsthafte Komplexe!
Sehe ich wirklich so aus?!
Blick in die Innenkamera: Ne, alles in Ordnung! Ich erkenne mich wieder.
Dann lasse ich das eben mit der Selbstdarstellung und mache einfach nur ein Bild von meinem Getränk mit der untergehenden Sonne im Hintergrund.
Bevor ich jedoch abdrücken kann, schiebt sich die Silhouette einer jungen Frau mit rückenfreiem Kleid und perfekt geglätteten Haaren in meinen Bildausschnitt.
Verblüffend, wie sie es schafft, den einen Meter Platz zwischen unserem Tisch und der Wasserkante mitsamt ihrer Freundin einzunehmen ohne sich an unseren Blicken zu stören oder sich um ihre Distanzlosigkeit zu scheren.
Sie Mähne wird noch mal aufgeschüttelt, die perfekte Haltung eingenommen und – und – und sie kommt nicht zum Ende.
Geduldig ertrage ich acht Posenwechsel.
Bevor die Sonne gänzlich hinter dem Berg verschwunden ist, bringe ich durch ein genervtes Stöhnen meinem Unmut zum Ausdruck und die Hübsche räumt das Feld.
Sie gibt mir gefühlte drei Sekunden Zeit, bevor sie mit einem neuen Outfit wieder vor meiner Linse steht und mir auf dieselbe Art und Weise die Sicht versperrt.
Ein gereiztes Kommentar neben uns lässt mich herumwirbeln.
Am Nachbartisch sitzen die Allmans und versuchen, Mutti und ihren Eisbecher in Szene zu setzten, wobei sie sich sehr über das störende Weibsbild ärgern, das ihnen in der Sonne steht.
Diebisch freue ich mich über das beherzte Eingreifen von Allman-Vati, der mir einen unversperrten Blick auf die Goldene Stunde erkämpft.
Mein Mann legt schließlich seinen Arm um mich und lässt mich wissen, dass dieser Moment etwas wirklich Schönes hat.
Ich gebe ihm Recht und stecke mein Telefon weg.
An seiner Schulter lausche ich den sanften Wellen des Gardasee‘s und schiebe den Gedanken beiseite, dass dieser Augenblick unbedingt eingefangen werden muss. Denn ich verlasse mich auf alle meine fünf Sinne, die ihn für mich abspeichern werden.