Wohnungs-Suche Part I oder: Zwischen (K)Altbau und Schießscharten

für Honig*

…eine dunkle 56-Quadratmeter-Wohnung mit Blick auf den nächsten Achtgeschosser. In der Lichtenberger Mellenseestraße war mein erstes Berliner Zuhause. Als Kleinstädterin konnte ich den Luxus einer Großstadt kaum fassen: Alle 20 Minuten kam ein Bus, nur 15 Minuten Fußweg bis zur U-Bahn, ein Rewe, der bis 23:00 Uhr geöffnet hatte und gleich zwei Spätis im Umkreis von einem Kilometer!

Big! City! Life! … Nicht!

Allein zwischen Rentnern und asiatischen Großfamilien kann Lichtenberg irgendwann schon ziemlich ätzend sein. Ich wollte raus. Günstiger, zentraler, berlinerischer bitte! Egal, wie!

Motiviert öffnete ich ein paar Immobilienportale und scrollte mich durch die Angebote. Hm, echt teuer alles. Maximal 450 Euro sollte meine neue Bleibe kosten.

Dann doch ein Treffer. Für eine 40 Quadratmeter-Wohnung  in Wedding sollte ich 290 Euro bezahlen – warm! Ich war neugierig und klickte auf das Angebot. Ein Traum aus Hofgärten, Erkern, Balkonen und Fassadenschmuck. „Gutbürgerliches Wohnen wie um 1900 hinter Backstein und Efeu und das mitten in Berlin!“ Ich griff sofort zum Hörer und vereinbarte einen Besichtigungstermin. Noch gerade rechtzeitig. 10 Minuten später war das Inserat nicht mehr auffindbar. Ich fühlte mich wie ein Glückspilz.

Am nächsten Morgen gegen acht spazierte ich am Nordufer entlang. Die Luft war frisch, der Himmel blau. Gepflegte Vorgärten, prächtige Fassaden und herbstbunte Bäume am Wasser. Herrlich! Hier wollte ich wohnen. Um jeden Preis!

Vor einem Haus wartete bereits eine riesige Menschenmenge. Viele Studenten, die ihre Bewerber-Unterlagen bereits in großen braunen Umschlägen dabei hatten. Wie vorbildlich! Streber! Ein obligatorischer Kontrollblick zur Hausnummer. Ja, hier war ich – leider – richtig.

Die Besichtigung ging los. Manche machten sich sofort peinlich penetrant daran, sich beim Hausmeister einzuschleimen. Sie hielten ihm ihre brauen Umschläge unter die Nase, betonen, wie sehr sie gegen das Rauchen und Haustiere wären und wiederholten ungefragt immer wieder, wie gut Papis Online-Eisenwarenversand laufen würde. Ein Hauch von Verzweiflung und Arschkriecherei lag in der Luft.

Ich hingegen stand erstmal nur fassungslos in der Ecke herum (auch, weil es so voll war). Ich wusste nicht, dass gutbürgerliches Wohnen wie um 1900 so wörtlich zu nehmen war. Es gab keine Heizung, sondern einen Kachelofen. Keine isolierten Fenster, sondern nur einfaches Doppelglas. Obwohl es Mitte Oktober war, bildeten sich an den Scheiben Eisblumen. Die Fensterrahmen schimmelten. Eine halbe Treppe tiefer gab es so etwas wie eine dunkle schlauchförmige Kammer mit einem Strich von Fenster, die mich an eine Schießscharte erinnerte. Ein dickes braunes Rohr führte zur Mitte dieses Kerkers und mündete in eine Toilette, die schräg angebaut werden musste, so eng standen die Wände beieinander. Okay. Schlimm! Aber wo ist das richtige – mein – Bad?

Hinter einem Vorhang in der Küche war da doch so eine braun geflieste Ecke mit Gulli…

Nein! Raus hier!

Relativ schnell fand ich etwas Passenderes in Neukölln. Eine junge Studentin lud mich zur Einzel-Besichtigung nähe U-Bahnhof Herrmannstraße ein. Neukölln ist im Kommen, redete ich mir ein.

In der Bendastraße stand ich vor einem grauen Altbau, der sich von den anderen Häusern durch auffallend viele Transparente an der Fassade abhob. „Tod dem Investor!“ „Wir bleiben!“ „Kiez statt Kapital!“

Och nö!

Ein pummeliges Mädchen mit großer Kunststoffbrille öffnete mir die Tür. Luise war wirklich sehr nett und zeigte mir ihre Wohnung. Diesmal wusste ich vorher, was mich erwartete. Ein Bad, das kaum breiter war, als die Schießscharte in Wedding, dafür mit richtiger Dusche, auch wenn ich, um sie zu erreichen, über die Toilette steigen musste. Egal, für 350 Euro warm hatte ich keine hohen Ansprüche. Angesprochen auf die Banner an der Fassade lächelte Luise gezwungen:

„Ja, das Haus hat den Vermieter gewechselt. Einige Wohnungen werden vielleicht saniert.“

Ich wurde stutzig. Seit wann werden denn nur einige Wohnungen saniert? Und seit wann nur vielleicht?

Luise schwieg kurz. Sie spielte nervös mit ihrem Haargummi.

„Also, ich hab dem Vermieter schon eine E-Mail geschrieben, er meldet sich, sobald er mir sagen kann, ob meine Wohnung saniert werden soll und ob es vielleicht ein bisschen teurer wird.“

In diesem Moment hätte ich Luise gerne gefragt, ob sie mich eigentlich für ein bisschen bescheuert hielt, aber ich hielt mich zurück.

„Ja, also nochmal zu den Möbeln.“ Wechselte sie schnell das Thema. Ich wurde hellhörig. „Welche Möbel?“

1.500 Euro Abstandszahlung für Kühlschrank, Waschmaschine und Sofa wollte sie haben. Schnäppchen! Ihr Gesicht wurde knallrot. Offensichtlich war sie sich ihrer Dreistigkeit bewusst. Und mal ganz abgesehen davon, dass ich keinerlei Verwendung dafür hatte, war ihr Zeug nichts als alter Sperrmüll.

Ich versuchte ihr gerade die Vorteile von Flohmarkt-Apps zu erläutern, als Luises Blick auf einen ziemlich hohen Stapel brauner Umschläge fiel. Ohne mich anzusehen, dafür weiter am Haargummi spielend:

„Du, also Andere haben mir schon zugesagt, sie würden die Sachen übernehmen. Einer hat mir sogar mehr Geld geboten. Und letztendlich muss ich dem Vermieter ja nur drei Interessenten vorschlagen.“

Das war der Moment, in dem aus der netten pummeligen Luise eine erpresserische Bitch wurde. Was soll ich sagen, wir kamen nicht zusammen.

Aktuell kann man Luises ehemalige Wohnung frisch saniert für schlappe 179.000 Euro käuflich erwerben, sofern man sich nicht daran stört, dass man zum Duschen nach wie vor über die Toilette steigen muss. Dafür ist das Bad jetzt mit Sandstein gefliest und über einen Monitor an der Gegensprechanlage kann man ganz bequem dabei zusehen, wie die Fassade von Autonomen mit Farbbeuteln beworfen wird. Ein Traum!

Für mich ging die Wohnungssuche weiter. Ich bezahlte weiterhin Unmengen für Kopien von Gehaltsnachweisen, Schufaauskunft, Personalausweis und Mietschuldenfreiheitsbescheinigung (das vermutlich längste Wort der Welt). Irgendwann fügte ich sogar noch eine richtige Bewerbung hinzu. Ich meine nicht etwa nur eine Selbstauskunft, nein, eine richtige Bewerbung! Mit seriösem Bild, Angaben zum Beruf, Familienstand, Haustieren, Krankheiten, Hobbys und wie oft man sich erlaubt zu duschen oder Musik zu hören… Es ging weiter und weiter, viele verregnete kalte Wochen lang…

Mehr dazu im Part II.

 

* Pseudonym

 

 

 

 

 

 

 

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Ein Gedanke zu „Wohnungs-Suche Part I oder: Zwischen (K)Altbau und Schießscharten

  • Juni 30, 2019 um 6:10 pm Uhr
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    Es ist so schwierig heutzutage eine Wohnung zu bekommen, das ist echt nerv tötend.

    Lg Mona

    Antwort

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