in Berlin wird nicht gekocht, sondern bestellt – von Lieferhelden und Backofen-Pulllovern

Berliner sind naturgemäß faul. Und wollen niemanden beeindrucken. Aber vor allem sind sie faul. Zumindest was das Essen angeht. Während Hamburger und Münchener den letzten freien Tisch im angesagtestem Rooftop-Steak-House-Irgendwas ergattern, gammelt der Berliner lieber Zuhause bei Netflix und Chill auf dem Sofa rum. – Von Lieferhelden und Backofen-Pullovern.

 

für Steffi und Julian

 

Letztes Wochenende war ich auf einer Mottoparty eingeladen. Das Motto lautete: Halloween – wie passend!

Ich liebe Mottopartys. Also solche, auf denen man sich richtig schick verkleiden kann. Also solche, auf denen man ein möglichst kreatives Outfit tragen kann. Hehe, also ein möglichst sexy Outfit. Also ein kreatives sexy Outfit! Also solche, mit denen man im Bad stundenlang Selfies machen kann. Mit Handtuchhalter und offener Toilette im Hintergrund.

Jedenfalls, es gab ein Problem. Das Outfit war absolut zweitrangig. Nix mit Horrorpuppe, Zombiebraut oder blutig verschmierter Krankenschwester. Nein, damit konnte ich nicht punkten. Jeder sollte etwas zu Essen mitbringen.

Motto-Essen.

Halloween-Motto-Essen.

Ich hasse Essen machen.

Ganz besonders Motto-Essen machen! Also solches, bei dem es auf Kreativität ankommt. Also solches, bei dem man mit Kochkünsten glänzen muss.

Ich kann nicht kochen! Also Essen machen. Ich find’s scheiße!

Daran ändern auch einfache Rezepte aus dem Netz nichts.

Als ich mich letztes Mal für ein Oktoberfest einen halben Tag lang durch ein Rezept für einen Weißwurstsalat gequält hatte, erfuhr ich erst in letzter Zeile davon, dass man Weißwürste UNBEDINGT WARM servieren, nicht erst vom Prenzlauer Berg bis hin nach Lichterfelde durch den Berliner S-Bahn Terror transportieren sollte… Liebe Bayern, genau darum versteht das hier niemand mit der Zwölf-Uhr-Regel! Das Ergebnis war, naja, sie bemühte sich stets und so.

Im Ernst, jedes noch so simple Gericht verursachte bei mir bisher einen ziemlich heftigen Anfall von Küchentourette. Eine Mischung aus wilden Flüchen und einer Hasspredigt auf Emazipationsinflation. Das Wort habe ich gerade erfunden. Was es bedeutet, weiß ich auch nicht ABER DARUM GEHT ES HIER NICHT!

Ich hasse Essen machen.

Ganz besonders Motto-Essen-Machen! Mimimi! Und überhaupt, in Berlin gehört es ohnehin zum guten Ton, sich Essen liefern zu lassen.

Während Hamburger und Münchener Wochenendmenschen ihr Date beeindrucken, indem sie an einem sonnigen Sonntagnachmittag den letzten freien Tisch im angesagtesten Rooftop-Steak-House-Irgendwas ergattern, gammelt der Berliner lieber Zuhause bei Netflix und Chill auf dem Sofa rum.

In Berlin bleibt ein Tinderdate nur aus einem Grund zum Frühstück: Um den Mindestbestellwert zu erreichen.

Gemein? Naaaiiin! Berliner sind naturgemäß faul. Und wollen niemanden beeindrucken. Isso.

In Berlin steigen die Mieten rasant. Die Löhne hingegen nicht. Folge: Die Wohnungen werden immer kleiner und Einbauküchen mit Thermomix werden Luxus. Also überflüssig. Ich gebe den Berlinern noch fünf Jahre, dann nutzen auch sie, nach New Yorker Vorbild, die Backöfen zum Klamotten verstauen.

Nirgends sonst huschen zu jeder utopischen Tages – und Nachtzeit so viele rosa und türkisfarbene Fahrrad-Lieferhelden durch die Straßen, wie in Berlin. Entschlossen, dem hungrigen Berliner Bettmensch alles zu servieren, was er sich nur wünscht. Alles.

Es gibt nichts, wofür es nicht die passende Transportbox gibt.

Pizza, Pasta, Sushi, Ente süß-sauer. Habe ich noch nie von einem Teller gegessen. Brathähnchen, Burger, Döner (ja, ernsthaft!), sogar ein kompletter Sonntags-Brunch. Mit allem was dazu gehört: Frischem Obst, Käseplatte, Rührei und Vollkornmüsli. Ab in eine Styropor-Assiette damit!

Wenn nicht gerade Sturm „Herwart“ durchs Land wütet und die Fahrradboten mit ihren großen Boxen auf dem Rücken ohne in die Pedalen zu treten von Pankow bis nach Marienfelde geweht werden, kommt auch immer alles zuverlässig an. An dieser Stelle möchte ich noch mal all jene wahren Lieferhelden grüßen, die trotz orkanartiger Böen und unter widrigsten Bedingungen tapfer lauwarmes Rührei und belegte Brötchen ausliefern. Ihr seid die Größten! An jene gewissenlosen Kack-Maden, die vom Sofa aus gleich nach ihrer Bestellung noch den Safety-Check auf Facebook bestätigen, aber nicht mal Trinkgeld geben können: Fickt euch!

Ich plädiere ja stets dafür, auch nur zu bestellen, wenn es auch wirklich notwendig ist. Bei mir ist das natürlich was anderes. Ich kann meinen Backofen nicht benutzen, weil da schon all meine Winterpullover drin sind. A-BER, wenn es sich wirklich, WIRK-LICH um einen Notfall handelt, dann schlage ich sowas wie eine Last-Minute-Lieferdienst vor. Einen Last-Minute-Motto-Essen-Lieferdienst. Eine dreistöckige Elsa-Torte für den Kindergeburtstag? Kein Problem! Weißwürste zeitgerecht von A nach B befördern? Schon erledigt! Oder erschreckend echt aussehende Zwiebelmett-Zombiehände zu Halloween? Kommt sofort!

Und schon ist wieder mehr Zeit für Selfies machen vor dem Badspiegel. Sogar noch, um den Klodeckel raus zu retuschieren. Oder für Netflix und Chill. Das wär’s doch!

 

 

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