Nachbarschaftssorgen

Ist echt schön so mit Heimat und heile Welt. Wenn man sich gerade nicht selbst das Leben schwer macht. Von Nachbarschaftsproblemen & Wäscheleinennazis.

 

für meine neuen Nachbarn

 

 

Während ich so darüber nachdenke, wie ich meinen nächsten Blogbeitrag beginnen könnte, räume ich meine Waschmaschine ein. Das ist sowieso nützlich und außerdem beruhigt mich das. Das mache ich immer, um meine Gedanken zu ordnen. Währenddessen fällt mir nur ein, wie albern es doch ist, dass ich jetzt mit einer viel kleineren Waschmaschine zurecht kommen muss, obwohl ich in eine dreimal so große Wohnung gezogen bin. Eine Wohnung, in der allein der Kellerraum in etwa die gleiche Größe hat, wie mein Berliner Apartment groß war. In der nur eben kein Platz für eine Frontlader ist. Na ja jedenfalls, ich räume meine Waschmaschine ein und weiß genau, was für ein Höllenlärm sie nachher beim Schleudern machen wird, während meine Nachbarn „Wer wird Millionär“ gucken wollen. Auweia, die wollen ihre Ruhe haben! Obwohl der Fernseher so laut ist, dass ich selbst durch dicke Backsteinmauern den Signalton von RTL höre. Soviel zur Mittagsruhe. Pff, ich werde trotzdem meine Wäsche waschen! Ich stell den Regler sogar auf maximale Umdrehungen, um das Schepper-Gefecht die Erde beben zu lassen. Feuer frei! Nehmt DAS! Warum ich so garstig bin? Tja, meine Damen und Herren, ich habe einen Krieg auszufechten. Einen kalten Wäschewaschkrieg. Kälter als für jede sensible Feinwäsche. Naja, eigentlich ist mir das wurscht egal, wer wann wie wo seine Wäsche wäscht oder wer wann wo wie seine Serien guckt oder irgendwelchen anderen Kram macht, es geht mir eigentlich um die Prinzipien von leben und leben lassen. Ihr wisst schon: So mit Geben und Nehmen und so. Sprich, wenn jemand den ganzen Tag am Fenster Kette raucht, darf der Andere mal Gäste auf den Balkon schnattern lassen. Oder wenn die Einen spät abends ohne Hörgeräte die Bude zusammen brüllen, dürfen die Anderen auch mal etwas laute Musik hören. Jedenfalls, bis jetzt hat das immer ziemlich gut funktioniert. Bis zu jenem einen Tag. Der Tag, an dem in Brandenburg zum allerersten Mal die Sonne schien. Ich gebe zu, nach einem so kalten und nassen Frühjahr kann einem die Laune schon mal ziemlich im Keller sinken, aber: Es gibt Dinge, die auch in einem noch so verkopften, kleinkarierten, kleinbürgerlichen, gelangweilten, depressiven Rentnerhaushalt nun wirklich keine große Geige spielen sollten. Die da wären: Wäscheleinen.

Wäscheleinen? Fällt euch nichts zu ein? Ich gebe euch hier mal eine Hilfe: Gute Wäscheleinen sind früher im Kalten Krieg wohl mal sehr teuer gewesen und sind daher fest im Meins-Deins-Denken impliziert. Heißt: Jeder hat seine eigene und benutzt diese auch ausschließlich nur für seine eigene Wäsche. Und wenn die Wäsche getrocknet ist, nimmt man die inklusive der Wäscheleine wieder ab. Der Nächste hängt dann wieder seine eigene Leine auf, pult diese dann ebenfalls wieder runter undsoweiterundsofort. Es ist ein ewiger Kreislauf aus unnützer Arbeit. Nur damit wirklich jeder Hanswurst seine eigene persönliche Wäscheleine benutzen kann. Findet ihr albern? Aber nicht doch! Albern wäre es, zu warten bis man so einen Wäscheleine-Nazi wie mich auf frischer Tat beim Nichtabhängen erwischt, damit man sich dann unauffällig auffällig so richtig darüber aufzuregen kann. „Früher hat man das noch gemacht“. Früher hat man auch noch nichts von Arbeitseffizienz gehört.

MEINE FRESSE! Sowas wie Beschwerden über ein schmutziges Treppenhaus, falsche Mülltrennung oder von mangelnder Bereitschaft, das Blumenbeet vor der Hauseingangstür zu harken hätte ich akzeptiert. Was ist nur mit den alten Leuten los? Die sind auch nicht mehr das, was sie früher mal waren. Da wünscht man sich doch glatt den versifften Berliner Innenhof zurück in dem man, wenn man Glück hat, gerade nicht von einem benutzten OB oder von einem Zigarettenstummel getroffen wird, der gerade aus einem Fenster fliegt.

Ja, in Berlin, da weiß man wenigstens noch, was richtige Nachbarschaftsprobleme sind. Zum Beispiel wenn sehr viel reichere, sehr viel kapitalorientierte Leute sehr viel ältere sehr viel zahlungsschwäche Leute aus ihren 70er-Jahre Mietvertrag heraus treiben. Diese dann zusehen dürfen, wie ihr altes Zuhause neu saniert und dem Luxuswohnungsmarkt zur Verfügung gestellt wird, auf welchen sich dann Leute stürzen, denen Wäscheleinen wohl so ziemlich egal sind, wie das Schicksal ihrer Vormieter. DAS liebe Alte, ist wirklich ein Problem!
Und überhaupt glaube ich, hier liegt ein riesengroßes Missverständnis vor: Wir neuen Altbrandenburger, wir Rückkehrer gehören nicht zu eben jenen hippen zahlungskräftigen Klientel. Wir wollen niemanden vertreiben. Wir sind selbst Vertriebene. Wir sind bei der Wohnungssuche soweit an den Berliner Stadtrand gerutscht, dass wir gar nicht gemerkt haben, wie wir über die Stadtgrenze gestolpert sind. Und jetzt sitzen wir hier, mitten in Brandenburg, gucken uns um wie Kühe wenns donnert und merken: Uns gefällts hier. Ist echt schön so mit Heimat und heile Welt. Wenn man sich gerade nicht selbst das Leben schwer macht.
Womit wir wieder bei dem Thema Geben und Nehmen wären. Mir gibt dieses heile Welt Ding mit Natur und alle auf der Straße grüßen sehr viel. Ich will gerne etwas dafür zurückgeben. Ey, Wie wär’s mit Wäscheleinen? Ich schmeiß ’ne Runde für alle. Dafür reicht das Geld gerade noch. Lasst die bunten Strippen wie Friedensfahnen im Wind wehen. Wir wollen kein Ort der Verdrängung sein. Kein Gentrifizierungs-Wahnsinn, keine Vegan-Lebensmittelläden, keine sterilen Showrooms. Denn Brandenburg, das ist da, wo noch Platz ist. Für all diejenigen, die in den hippen teuren Großstädten keinen Lebensraum mehr finden. Was soll’s, ich stell die Musik in Zukunft leiser und kauf mir gleich bei Rossmann noch Gummifüße für die Waschmaschine. Dann herrscht wieder Frieden und vielleicht klappts auch mit den Nachbarn.

 

 

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