Von Berlin ins Brandenburgische Outback – Der Einjahresbericht zweier Freundinnen

für unsere Familien und Freunde

 

Schlechter Internetempfang, Bildungsniveau im Keller und von der politischen Marschrichtung mal ganz abgesehen. Es gibt über nichts so viele Vorurteile wie über Brandenburg.

Meine beste Freundin und ich, wir haben uns getraut, von der großen, allseits beliebten Hauptstadt sind wir nun zurück in Brandenburg. Ein Jahr liegt hinter uns und es ist Zeit für einen Bericht.

Es sollte Vorteile haben, das Leben in der Großstadt.
Viele coole Menschen, geile Partys in noch viel geileren Clubs, viele tolle Cafés, die förmlich danach schreien, dass man seine Qualitytime dort verbringt.
Davon haben wir wirklich wenig gespürt in den Jahren, die uns diese große Stadt gefangen hielt.

Wir befanden uns in einem Hamsterrad, haben in schlecht bezahlten Jobs soviel Lebenszeit verbracht, wie nirgendwo sonst.

Schaut man hinter die Fassade, dann sind die coolen Menschen in Berlin gar nicht so cool. Im Gegenteil, sie sind hardcore gefrustet. Es gibt an allem und jedem etwas zu meckern. Das Autofahren frustet, die Öffis frusten und die Touris sowieso.

Lernt man alte Berliner Urgesteine kennen, erkennt man ziemlich schnell, dass dieser Frust nichts mit Berlin an sich zu tun hat.
Die Mieten, die Übervölkerung, die völlige Anonymität sind nur einige Gründe, warum es uns wieder in die Kleinstadt verschlagen hat.

Unsere Berliner Adressen lagen nur wenige Kilometer voneinander entfernt. Dennoch haben wir bis zu 40 Minuten gebraucht, um diese Strecke zu überwinden. Aus unterschiedlichen Beweggründen haben wir unsere Umzüge nach Brandenburg realisiert.

Von Berlin zurück ins Brandenburgische Outback – Der Einjahresbericht zweier Freundinnen

Gleich zu Beginn stellen wir fest: Eine brandenburger Wohnung kostet weder zwei Drittel unseres Monatseinkommens, noch all unsere Nerven und Würde. Nur etwas Geduld. Sie wird nämlich aufgrund des Handwerkermangels ewig nicht fertig.

Was im Übrigen ein weiterer guter Grund ist, nach Brandenburg zu kommen. Hier gibt es Arbeit. Klingt komisch, ist aber so. In einer Region, die vom Wegzug und Geburtenknick betroffen ist, stehen unzählige Betriebe vor der Übernahme. Ohne Nachfolge. Man setzt sich also ins gemachte Nest. Oder erst mal ins Hotel Mama.

Der Umzug in so ein neues Heim ist romantisch verklärt. Die Vorstellung: Bei Kerzenschein barfuß auf dem Boden sitzen. Rotwein und Pizza auf Pappkartons.

Wenige Wochen später:
Keine Ahnung, in welchem Karton die Kerzen sind. Die einzige Pizzeria im Ort wurde vor drei Jahren dicht gemacht, jetzt gibt’s hier keinen Lieferdienst mehr.

„Nimm dir Essen mit, Wir fahren nach Brandenburg.“ („Brandenburg“ Lied von Rainald Grebe).

Dennoch, wir sind willkommen.

Familie und Freunde schleppten stundenlang Kisten aus der 16. Etage eines Berliner Hochhauses in die im Halteverbot stehenden Transporter. Die Autos unserer Väter werden solange vollgestopft, bis sie tiefer gelegt sind als jeder VW Golf. Alle packen mit an.

Zuverlässigkeit ist ein spürbarer Unterschied. Denn so gerne man in Berlin dem Single-Dasein fröhnd, so gerne man sich mit Menschen trifft die die meiste Zeit ihres Lebens eigentlich nur mit sich selbst beschäftigt sind, so sehr weiß man es zu schätzen, Leute an seiner Seite zu haben, auf die man sich einfach mal verlassen kann.

In Berlin war es normal, auf Partys höchstens eine anwesende Person zu kennen. In der Heimat ist es normal, höchstens eine anwesende Person nicht zu kennen. Besser so! Um drei Uhr nachts ist man echt am A****, wenn kein Taxi von der Dorfdisse nach Hause fährt. Niemand wird zurück gelassen! Anonym unterwegs sein funktioniert hier einfach nicht. Jeder weiß über jeden Bescheid. An fehlende Distanz muss man sich erst wieder gewöhnen. Es wird über alles und jeden sehr offen geredet. In dieser grauenvollen brandenburgischen Mundart. Man kann darüber hinweghören. Besser auch über so manches politisches Statement. Das Recht der freien Meinungsäußerung wiegt anscheinend schwerer als die Angst vor Anggriffsfläche.

Ossi-Klischees mal beiseite!

Brandenburg ist das Land der neuen Perspektiven. Auch wenn die Karriere-Leiter junger Leute tief im Keller beginnt. Hier kann man wirklich was aus sich machen. Lebensqualität bedeutet mehr als eine überteuerte Eigentumswohnung in der Innenstadt. Für das Geld könnte man im Spreewald einen kompletten Dreiseitenhof sanieren. Ganz ohne Häuserkampf. Dafür unter sternenklaren Himmel.

Lieber mit dem Fahrrad an den See als mit dem Porsche ins Büro! Das ist unser neues Lebensmotto. Unsere Qualititime verbringen wir jetzt auf Picknickdecken statt in hippen Szenelokalen. Keine Hektik, kein Müll, kein Lärm. Keine gestressten übersteuerten Menschen. Es ist bemerkenswert, wie entspannt unser Leben geworden ist, seitdem wir in unsere brandenburgische Heimat zurückgezogen sind. Der schlechte Handy-Empfang setzt einen auf knallharten Digital Detox. Anrufen kann man sich trotzdem. Wenn man das Fenster öffnet und über den Zaun ruft. Der räumlichen Nähe sei Dank.

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