Jeder kann sofort sein Leben umkrempeln, wenn er will! Jaja, schon okay! Was ist mit meinen Verpflichtungen? Wie soll ich das anstellen? Wenn viel Zeit, Geld und Energie in das Aufrechterhalten einer Wohlfühlzone fließen, was bleibt dann noch übrig für das Erreichen von höheren Zielen?
für Mag. A. S.
Gleich zuerst ein kleiner Tipp: Habt ihr mal Langeweile oder eine Kreativkrise, fangt an, etwas zu lernen… Euer Gehirn wehrt sich gegen die Verknüpfung neuer Synapsen und liefert euch millionen Alternativen, was ihr stattdessen tun könntet.
In wenigen Monaten stehen für mich sehr wichtige Prüfungen an. Jeder gut organisierte Mensch beginnt jetzt mit dem Lernen…also schreibe ich an meinem Blog. Mein Gehirn will es so. Der Laptop, an dem ich das tue, ist etwa 1000 Jahre alt. Er braucht zwei Kaffeelängen und eine leergeräumte Spülmaschine zum Öffnen eines Browsers, sowie dreier versehentlich installierter Anti-Virenprogramme. Ich empfinde das als pure Provokation. Ich möchte jetzt unbedingt schreiben!
Die Geduld zahlt sich aus. Auf dem PC liegen unveröffentlichte Beiträge von vor drei Jahren. Unzählige Gedanken zu dem Vorhaben, einen sicheren Arbeitsplatz zu kündigen, ein duales Studium aufzunehmen und aus Berlin wegzuziehen. Ich habe Pro-Contra-Listen geschrieben, mit dem Ergebnis: Das ist alles eine riesen Schnapsidee und überhaupt: Was will ich eigentlich?
Jeder hatte bestimmt schon mal diesen was-wäre-wenn-Moment: „Soll das jetzt alles gewesen sein?“. Abitur, Ausbildung, Arbeitsvertrag. Alles ist geordnet und sicher. Was will man mehr? Einen neuen Laptop? Auto? Einbauküche? Eine Eigentumswohnung mit Bausparvertrag? Riester Rente? Nochmal was ganz anderes machen? Einfach alles hinschmeißen und mit dem Rucksack durch Lateinamerika reisen? Klingt verlockend! Auf Social Media wird man mit Inspiration und Work-Life-Balance-Predigten umspült. „Jeder kann sofort sein Leben umkrempeln, wenn er will!“ Jaja, schon okay! Was ist mit meinen Verpflichtungen? Wie soll ich das anstellen? Was habe ich davon? Bin ich dann glücklicher?
Es ist unglaublich, wie viel Einfallsreichtum das Gehirn entwickelt, um an der Komfortzone festzuhalten. Mit Ende 20.
Bloß nicht nochmal alles aufgeben, was man sich erschaffen hat. Lieber die Wohlfühlzone so hübsch wie möglich herrichten. Mit weiteren Möbelstücken, Taschen, Technik und Thermomix.
Materielle Dinge können sich super wie Veränderung anfühlen. Konsum wie Erfolg. Ich kaufe, also bin ich glücklich! Einkommen soll unabhängig machen. Ist wohl eher so etwas wie Treibstoff für’s Hamsterrad. Aussteigen geht nicht. Nix mit Freiheit. Die Contra-Liste wird immer länger und länger.
Resignation, Frustration.
Ich kauf mir was schönes. Das geht schnell und fühlt sich gut an. Ohnehin geht es immer darum, „sich erstmal wohl zu fühlen“. Bis diese Wohlfühl-Sachen dann irgendwann aussortiert, weggeschmissen und durch neue ersetzt werden müssen.
Es ist ein ewiger Kreislauf aus Selbstausbeutung und Selbstbelohnung. Warum tut man sich das an?
Wenn viel Zeit, Geld und Energie in dieses „erst mal wohlfühlen“ fließen, was bleibt dann noch übrig für das Erreichen von höheren Zielen?
Was tun, wenn vor lauter Wohlfühl-Ballast der Rucksack-Trip durch Lateinamerika keine Option mehr darstellt?
Vor allem nicht so hart zu sich selbst sein! Und nicht mit dem Kopf durch die Wand wollen. Ein Ziel ist doch keine Hausaufgabe, die man am nächsten Tag abgeben muss. Ein Ziel darf verändert, Zwischenwege über andere Baustellen dürfen genommen werden. Nur loslaufen muss man halt. Sonst kann man nicht ankommen. Keine Pro-Kontra-Liste der Welt kann in die Zukunft schauen. Nur wer handelt, kann neue Erfahrungen machen und Veränderung erzielen. Einfach anfangen und es auf sich zukommen lassen. Es ist dann meistens nicht so schlimm, wie man es sich vorgestellt hat. Man wächst bekanntlich mit seinen Aufgaben.
Auch wenn es nicht ohne Kompromisse ging, weiß ich dennoch, dass die Entscheidung für das Studium richtig war. Über meine Bedenken von vor drei Jahren kann ich nur müde lächeln. Ich habe mehr geschafft, als ich mir je zugetraut hätte. Und ich weiß, wofür ich es mache. Es geht um mehr als den Erhalt eines Wohlfühlzustandes. Es geht um einen Abschluss. Den kann mir niemand weg nehmen. den muss ich weder aussortieren, wegschmeißen noch ersetzen.
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