Es gibt keinen „Hey-Warte-Doch-Moment“

 
 für Belinda und Johanna
 

…Liebesschnulzen. Es gibt viele Gründe sie NICHT zu mögen – selbst wenn man, so wie ich, der Gattung Frau angehört. Als ich letztens auf einem Filmeabend einer Freundin zu Besuch war, versuchte ich mir gerade mittels des x-ten Glases pink-prickelnden Prosecco eine dieser Romantik-Kommödien schön zu trinken, als mir plötzlich klar wurde, was mich so an diesen Hollywoodkonserven stört:

 
Der „Hey-Warte-Doch-Moment“

 

Beispiel gefällig?: SIE erwischt IHN mit einer Anderen. Schock. Kurzer Blickkontakt. SIE wendet sich enttäuscht ab, verlässt fluchtartig die Szene. ER rennt ihr nach. Auf offener Straße im strömenden Regen (dramatische Musik) hält er sie auf und sagt die magischen drei Worte:

„Hey, warte doch!“

Er versucht sich noch reumütig zu erklären, aber es ist zu spät. SIE will nichts mehr von ihm wissen, sagt sinngemäß etwas wie: „Ich dachte, du wärst anders als die Anderen bla bla“, *heul* und verschwindet in einem prompt auf der Bildfläche anrauschenden Taxi (wo kommen immer diese Taxis her?).

Er, völlig durchnässt, blickt allein im Regen stehend den roten Rücklichtern nach.

Schwarzblende.

Tage- nein, wochenlang versucht ER um SIE zu kämpfen. Macht ihr nach irgend einem unrealistischen tragischen Zwischenfall ein herzerwärmendes Liebesgeständnis und sorgt für ein Happy End, wie es sich premenstruale Frauen beim Nutella- und Häagen-Dazs-Eis-Löffeln eben vorstellen. *schluchz*

*kotz!!!*

Es gibt nicht genug Fruchtsecco auf dieser Welt, um sowas ernsthaft emotional berührend zu finden! Das „Hey, warte doch!“ soll im Film der tragischen Liebesgeschichte Stimmung und Drama verleihen und zu einer Wendung führen, an die wir glauben wollen. In Wirklichkeit ist dieser Moment der absoluten Reumut so weit von der Realität entfernt, wie ich von der ganz großen Schauspielkarriere. Wenn Hollywood Stoff für Drama und Herzschmerz braucht, können sie sich gern ein Drehbuch von mir abholen. Mein Leben bietet derzeit genug Material für eine ganze Vorabendserie.

Seitdem ich in Berlin lebe, werde ich von Männern gedatet, begehrt und dann …geghostet. 

*schluchz*

Es ist immer dasselbe Muster: Nach einer anfänglichen intensiven Kennenlernphase fange ich an, mir die „Was-Wäre-Wenn- Fragen“ zu stellen: Was, wenn er der richtige wäre? Was, wenn es funktionieren könnte? Was, wenn wir füreinander bestimmt sind? Gefühle? Beziehung? Liebe? Hochzeit? Kinder und Eigentumswohnung?

Nein, ganz so läuft es in meinem Kopf nicht ab. Aber meine Meinung ist: 

Keine Aufrichtigkeit ohne Offenheit. Kein Glück ohne Mut. Keine Hingabe ohne Gefühle.

Damit mache ich mich angreifbar und die einzige Frage, die ich mir nicht stelle ist: „Was, wenn es ihm nicht so geht wie mir?“. Es kommt, wie es kommen muss: Ich werde verletzt.

Von jetzt auf gleich: Funkstille. Erklärung Fehlanzeige.

Das tut echt weh! Es ist nicht mal die verschwendete Energie, die ich in diesen Menschen investiert habe, oder die Enttäuschung über unerwiderte Gefühle. Ich finde es einfach nicht fair, wenn man erst aufrichtiges Interesse signalisiert und dann mit scheinbar absoluter Gleichgültigkeit den Kontakt abbricht. Auf eine derart passiv aggressive Art, dass nur Fragezeichen in meinem Kopf bleiben. „Was hat derjenige denn nur?“ „Liegt es an mir?“ „Habe ich etwas falsch gemacht?“ „Sollte mich das jetzt kränken oder hab ich mich zu sehr reingesteigert?“

Ich hasse es, mich so zu sehen. Niemand sollte sich selbst so sehr in Frage stellen. Aber es greift ungemein das Selbstwertgefühl an, wenn man ohne erkenntlichen Grund einfach ausgetauscht und weggeworfen wird. Ich verstehe die Welt nicht mehr, versuche den Kopf oben zu lassen und stark zu bleiben.

Single zu sein ist doch keine Schande! Es macht Spaß!

Ich bin nicht von Bestätigung abhängig. Ich komme auch alleine klar. Mir gehts gut!

…solange, bis jemand nach meinem Beziehungsstatus fragt.
Wieso noch immer allein? Etwa zu anspruchsvoll? Zu kompliziert? Zu egoistisch? Zu… WAS?! Warum wird automatisch bei mir der Fehler gesucht? Warum muss ich mich rechtfertigen? Ich finde das nicht in Ordnung und meiner Meinung nach sollte ich meinen Frust da rauslassen dürfen, wo er entstanden ist. An der Person, die ihn verursacht hat. In Form einer gehörigen Ansage. Warum soll ich den ganzen Kummer mit mir selbst ausmachen? Warum den Ärger runterschlucken, wenn ich ihn dem Schuldigen in den Hals stecken kann?

Jetzt nicht überreagieren!

In therapeutischen Telefonaten mit der besten Freundin lege ich mir hunderte Schlagfertigkeiten zurecht, die wie ein Flakfeuer bereit zum Abschuss sind. Pah! Diese eine Nachricht werde ich noch schreiben. Diesen einen Schlag werde ich noch setzen, um mich für die miese Behandlung zu rächen und mir Genugtuung zu verschaffen. Im Kopf ist die Szenerie schon hunderte Male durchgespielt worden. Das Ende steht fest: Ich bin die Starke.

Was fällt ihm ein!

Und Action! 

Blöd nur, wenn nach einem anfänglichen: „Dem hab ich’s aber gezeigt“ tatsächlich keine Wiederworte kommen, sondern nur Funkstille. Wie mies ist das denn? Das fühlt sich nicht wie ein Sieg an. Kämpfe, du Feigling! Doch, egal wie oft ich den Nachrichtenverlauf durchlese, analysiere und interpretiere: Nach: „Dir hab ich’s gezeigt!“, kommt nichts zurück.

„Cut! Cut! Kahaaat!!!“ Möchte ich da am liebsten aus dem Off rufen hören. Ein Script zu Boden werfender, wild fluchender Regisseur soll ins Set gestampft kommen und dem Hauptprotagoniten die Hölle heiß machen. Alle haben sich gefälligst ans Drehbuch zu halten! An mein Drehbuch! So, wie ich mir das eben vorgestellt habe. Mit Drama und Regen und Taxi. Im Film wäre es jetzt Zeit für einen Plot Twist, der für eine unerwartete Wendung sorgt und die Handlung vorantreibt. Ich würde sicherlich von einem Auto angefahren, oder von Verrückten entführt werden. Der tragische Liebesheld lernt, mich zu vermissen, bekommt ein schlechtes Gewissen und beschert mir nach dramatischer Rettungsaktion noch am Krankenhausbett eine tränenüberströmte Versöhnungsszene. Das impliziert Hollywood. Aber, Mädels, ganz im Ernst:

Das wird einfach nicht passieren!

In der Realität hat er schlichtweg kein Interesse. Und ich verkrieche mich voller Selbstmitleid und meiner persönlichen Spotify-Perioden-Playlist in der Badewanne. Zu viel Theater? Ich kann auch die Nummer abziehen, wo ich mir heulend Schlagsahne in den Mund sprühe. Das ist mir aber dann doch zu blöd. Sowas denken sich nur Drehbuchautoren aus, die keine Ahnung davon haben, wie sehr gekränkte Frauen auf ihr Äußeres achten. Eigentlich hätte ich Lust auf Geschrei, Geheule und den ganz großen Abgang. Ein bisschen Porzellan zerschmeißen würde zwar nichts an der Situation ändern, mir aber den nötigen Nachdruck verleihen.

Uuuund Cut! Applaus Applaus!

Vorstellung: Als temperamentvoll und heißblütig abgefeiert werden. Dann Regen, gefühlvolle Musik. Stürmische Liebe.

Realität: Anstatt als feurige Diva stehe ich als keifende Zicke da. Gefühlsausbrüche sind nur tragischen Hollywoodheldinnen vorbehalten. Normale Frauen, die sich derart aufführen, gelten als „anstrengend“. Nichts ist von romantisch verklärten Vorstellungen so weit entfernt, wie eine Szene! Nix Drama! Nix „Hey, warte doch!“. Die Klappe fällt und ich stehe mit nem miesen Gefühl da.

Ich bin eine hoffnungslose Romantikerin. In Liebesdingen neige ich dazu, mir meine eigene Version der zu erwartenden Geschehnisse zurechtzulegen. Und bin dann total geknickt, wenn nichts davon eintritt. Ich glaube an das Happy End, versuche die Geschichte zu wenden, bis ich irgendwas peinliches veranstalte und mich vollends blamiere. Danach bin ich mitnichten in der Lage, die logischen Folgen zu verkraften:

Funkstille. Desinteresse.

Ich glaube, wir haben ein riesiges Wertschätzungsproblem im Miteinander. 

Ich muss mich nicht erst „interessant machen“, um jemandes Aufmerksamkeit zu verdienen. Wenn das Leben kein Film ist, dann geht Verlieben auch ohne Casting! Ich will nicht die Beste sein, sondern die Einzige. Wenn ich keine Hollywooddiva sein kann, will ich auch keine Show abziehen müssen. Entweder, es passt, oder eben nicht. Das merkt man meiner Meinung nach recht schnell und nicht erst, nach dem man miteinander geschlafen hat. Wenn ich so darüber nachdenke, will ich von so einem Hanswurst auch gar kein bescheuertes „Hey, warte doch!“ hören. Ich möchte lieber ein: „Es tut mir leid.“ Ein Mindestmaß an Anstand und Respekt sollte doch nicht zu viel verlangt sein? Was gibt jemanden das Recht, sich Rede und Antwort zu entziehen, nur weil man die Verbindung zu jemand anderen nicht „Beziehung“ getauft hat? Wer legt den Moment fest, ab dem man ein Recht hat, verletzt zu sein? Niemand muss sich für seine Gefühle rechtfertigen. Wohl aber dafür, sich wie ein Arschloch zu verhalten. Vieles, was von manch einem Chauvinist als Hysterie oder Drama abgetan wird, ist nichts Weniger als die völlig logische Reaktion auf Geringschätzung.

Und Herrgott nochmal, kann Hollywood mal eine Frau auf die Leinwand bringen, die mehr in ihrer Rolle zu verkörpern hat, als die der Verletzten, die sofort weich wird, wenn man ihr bei einem Flashmob im Einkaufszentrum eine Liebeserklärung macht? Eine, die sich wieder umdreht und geht, anstatt den Film mit einem leidenschaftlichen Kuss enden zu lassen? Das wäre näher an der Realität und würde nicht das Bild vermitteln, dass Liebe etwas mit Drama und Schmerz zu tun hat.

 

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